Theater im Güterschuppen präsentierte mit „Faust unchained“ in Aurich eine provokante und eindrucksvolle Interpretation
Von Ann-C. Lukes
Aurich. Provokant, eindrucksvoll und mutig präsentierte die Theatergruppe des Ulricianums am Freitag ihre Interpretation von Goethes „Faust“. Auf dem Schulhof erlebten die rund 200 Besucher, wie sich Karl Lagerfeld, Hannibal Lecter, der Joker und Alice im Wunderland in Auerbachs Keller betranken und Drogen nahmen – und auch ein Striptease fehlte nicht bei „Faust unchained“.
„Habe nun, ach Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“ – Mit dem bekannten Zitat des Dr. Heinrich Faust beginnt die Handlung des Stücks. Allerdings wurde nicht nur mit Originaltext gearbeitet, sondern es gab auch moderne Abwandlungen.
Gleichzeitig wurde der Dr. Faust in einer Doppelbesetzung von Laura Grannemann und von Ralf Krüger gespielt. Mephisto, der zunächst als Pudel mit einer verschwörerischen Maske getarnt auftritt, wurde von Freya Aden gespielt. Im kurzen roten Kleid verführte sie Faust in den Pakt mit dem Teufel. Es wurde schnell klar, dass die klassischen Geschlechterrollen des Originalwerkes aufgehoben wurden.
Auch die Szene im Auerbacher Keller wurde von der Auricher Theatergruppe komplett umgewandelt. Während im Originalwerk ein paar Männer zusammensitzen und ihr Feierabendbier genießen, wurde dieses Treffen in der Auricher Inszenierung als Selbsthilfegruppe dargestellt, der die eingangs beschriebenen Personen angehören. Es wurde viel Alkohol getrunken und auch Drogen wurden konsumiert.
Ein weiterer Höhepunkt dieser Interpretation, mit dem niemand gerechnet hatte, war ein Striptease von Gretchens Nachbarin Marthe, gespielt von Lea Decker. Das erklärte die Altersempfehlung des Stückes. Nachdem Marthe ihren Morgenmantel fallen gelassen hatte, setzte sie sich in Dessous in eine Wanne mit roten Rosenblättern und trank ein Glas Rotwein. Das Publikum, das zunächst erstaunt über den Auftritt war, zeigte sich letztlich begeistert.
Auch an Dramatik fehlte es dem Stück nicht: In der Schlussszene saß Gretchen mit blutverschmiertem Kleid und einem Kind auf dem Schoß auf der Bühne. Diese Szene stand symbolisch für das Kind, das Gretchen umgebracht hatte. Viele der Zuschauer wirkten tief berührt von diesem Anblick, der einem unter die Haut ging.
Im Publikum waren auch viele Schüler des elften Jahrgangs. Für diese ist der Faust abiturrelevant. Delina Ubben und Merle Harms zeigten sich begeistert über die Inszenierung. Man habe viele Aspekte aus dem Originalwerk wiederfinden können, so die Schülerinnen. Allerdings sei das Stück leichter zu verstehen gewesen, wenn man den Faust zuvor gelesen hatte, sagte Delina Ubben im Gespräch mit den ON.
Die Gruppe Theater im Güterschuppen überzeugte mit ihren Leistungen das gesamte Publikum. Auch wenn die Gruppe anfänglich mit Schwierigkeiten mit dem Ton zu kämpfen hatte, welche zusätzlich durch das Hupen und Brüllen der Auricher Fußballfans untermalt wurde (Deutschland hatte im Weltmeisterschafts-Spiel gegen Frankreich gewonnen), ging alles glatt über die Bühne. Vor allem nach der Pause war eine deutliche Steigerung der Spannung des Stücks zu erkennen.
Mit der einbrechenden Dunkelheit konnte mit tollen Lichteffekten gearbeitet werden, die die jeweiligen Stimmungen untermalten. Auch das Wetter spielte mit, sodass alles draußen problemlos über die Bühne ging. Sollte es bei zukünftigen Terminen regnen, wird die Aufführung in den Güterschuppen verlegt.
Mit lautem Beifall wurden die Schauspieler und die Regisseurin Heike Duensing vom Publikum verabschiedet. Diese dankte vor allem auch Dominik Dietrich, Lukas Scherler und Tim Siebels, die sich um die Licht- und Tontechnik gekümmert hatten. Mit ihrer vierten Aufführung hat die Theater im Güterschuppen Gruppe auf eine provokante und mutige Art und Weise das Publikum erneut überzeugt.
Quelle: Ostfriesische Nachrichten – 7. Juli 2014