Eine Bühne, ein Stück, 700 Ulricianer. Am 14.11.2016 kamen die Schülerinnen und Schüler aus dem 10.,11. und 12. Jahrgang in den Genuss, sich das Drama „Nathan der Weise“ auf der Bühne der Auricher Stadthalle anzusehen. Die meisten der anwesenden Schüler haben dieses Drama bereits im Unterricht gelesen, jetzt nutzten sie die Chance, sich das Werk Lessings auch auf der Bühne anzusehen. Gespielt wurde es von der Gruppe „Junges Theater Göttingen“, welche Lessings Drama seit dem 10.11.2016 wieder in ihr Programm aufgenommen hat. Dem engagierten Einsatz von Valerie Beekmann und Sabrina Heidrich ist es zu verdanken, dass die Gruppe zu einer Exklusivvorstellung für das Ulricianum in den hohen Norden gereist ist. Dafür von uns ein herzliches Dankeschön!
Die Handlung des Dramas spielt in Jerusalem, 1191, zur Zeit des 3. Kreuzzuges. Es herrscht der Sultan Saladin, vor der Stadt liegen die Tempelritter, die Jerusalem zurückerobern wollen. Als der reiche Jude Nathan
von einer Geschäftsreise zurückkehrt, erfährt er, dass sein Haus gebrannt hat und seine Tochter Recha wie durch ein Wunder überlebt hat. Ein junger Tempelherr hat sie gerettet. Jetzt schwärmt Recha, die Jüdin, für den Tempelherrn, den Christen – vielleicht liebt sie ihn sogar. Und dann wird Nathan noch zum Sultan bestellt, der von ihm, den alle den Weisen nennen, die Antwort auf eine ganz bestimmte Frage haben will, die als Ringparabel bekannt ist: Welcher Glaube ist der einzig wahre und richtige Glaube? Lessing schrieb „Nathan“ 1778 vor dem Hintergrund des Krieges der drei großen Religionen, Christentum, Islam und Judentum. Er rückte mit seinem Drama die Forderung nach (Religions)Toleranz, Respekt und Nächstenliebe in den Mittelpunkt. Jeder solle sich so verhalten, dass das eigene Verhalten ihn zum Träger des wahren Ringes mache. Die Frage nach der wahren Religion beantwortet sich also erst im Handeln eines jeden Gläubigen.
Am Montag um 14:30 war es dann soweit. Das „Junge Theater Göttingen“ präsentierte dem Publikum eine moderne Umsetzung des Dramas.
Die moderne Inszenierung ließ viel Raum für individuelle Interpretation, so wurden beispielsweise ausgewählte Szenen mit Waffen statt harmonischem Schachspiel dargestellt und erinnerten zwangsläufig an die derzeitige Terrorismuslage. Hinsichtlich der Kostüme und Requisiten ist uns aufgefallen, dass sich die Stile, alt und neu, vermischt haben. Schußsichere Westen, eher altertümlicher Sprachgebrauch, laute Musik und Soundeffekte sorgten für unterschiedliche Eindrücke. Am Ende des Tages waren sich alle einig darüber, dass es wohl keine einheitliche Meinung geben kann. Jeder Zuschauer ging mit einer bestimmten Meinung über die Aufführung nach Hause, sodass festgehalten werden darf, dass das Stück eine große Wirkung auf Schüler und Lehrer hatte und – selbst wenn viele das Stück negativ beurteilten – die Aufführung wohl niemanden kalt gelassen hat. So verwundert es auch kaum, dass Fragen und Meinungen, die sich im Laufe des Nachmittags ergeben hatten, noch einige Tage nach der Aufführung innerhalb der Kurse erklärt und diskutiert wurden.
Wir haben einige Meinungen für Euch gesammelt. Lisa aus dem 11. Jahrgang zum Beispiel fand:
„Zunächst hatten wir die Erwartung, dass es ein ruhiges Schauspiel wird, dass sich nah an der Textvorlage Lessings orientiert. Diese Erwartungen konnte man jedoch schnell über Bord werfen. Nach einem relativ ruhigen Start wurde das Stück durch Einspielen von lauter Musik zu den Szenenwechseln gleich etwas dynamischer gestaltet. Auch gab es kleine Änderungen, was die Locations anging. Im Original wird zum Beispiel im Anwesen Saladins Schach gespielt, wo es ruhig und harmonisch scheint, jedoch wurde hier viel auf Elemente gesetzt, die das Schauspiel etwas unruhiger aber auch eher antipathisch gestalten. Die Szenen, in denen Schach gespielt wird, wurden kurzerhand in Szenen des Bogenschießens umgewandelt. Bestimmte Charaktere wurden auch sehr aggressiv und gewaltbereit dargestellt, was einer der Kernaussagen des Stückes – einem friedlichem Miteinander egal welcher Abstammung oder Religion – doch ziemlich widerspricht. Alles in allem war es ein durchaus gelungenes Stück, doch mit dem originalen Text verglichen, hat sich bei den meisten Zuschauern der Eindruck gefestigt, dass man es an manchen Stellen doch noch etwas besser oder nicht ganz so losgelöst von den Vorgaben des Autors hätte umsetzen können. Dies sind jedoch Kritikpunkte, die dem Großen und Ganzen einer gelungenen Aufführung auch nicht viel anhaben können. Letztendlich war es eine tolle Erfahrung, mal zu sehen, auf welche Weise man solch einem Stück einen Charakter verleihen kann.“
Auch die Lehrer waren geteilter Meinung: Während einige sich enttäuscht über das Stück äußerten, z.B. dass die schauspielerische Qualität nicht so hoch gewesen sei, hatten andere schon viel schlechtere Aufführungen als diese gesehen. So gab es viel positive und negative Gedanken zu dem Stück, vieles wurde bemängelt, vieles aber auch als abwechslungsreich und überzeugend gelobt. Herr Kutschke brachte es auf den Punkt. Es wies seine Schüler darauf hin, sich von einer einzelnen Vorstellung nicht die Freude am Theater nehmen zu lassen, ein Theaterbesuch sei eine sehr subjektive Angelegenheit und es gebe immer gute und schlechte Erfahrungen, je nach dem wie man das Stück empfunden habe. Auch Frau Frerichs nahm sich im Anschluss an die Aufführung die Zeit, uns ihre Gedanken bezüglich des Stückes mitzuteilen:
„ Ich habe schon eine moderne Inszenierung erwartet und diese Erwartung wurde erfüllt. Allerdings fand ich den Aktualitätsbezug nicht ganz gelungen. So übt Saladin zunächst Bogenschießen und trägt am Ende ein Maschinengewehr. Hier hätte ich mir mehr Konsequenz gewünscht. Problematisch finde ich auch, dass Saladin und seine Untertanen wie IS-Kämpfer anmuteten. Dieses Bild wird dem doch recht weisen, gerechten Herrscher, den Lessing herausarbeitet, meiner Meinung nach nicht gerecht. (…) Ich bevorzuge das Drama, da es so geschrieben ist, wie Lessing es gemeint hat. Dadurch, dass der Regisseur künstlerische Freiheiten hat, die nicht von Lessing abgesegnet worden sind, besteht die Gefahr einer Verzerrung der Aussageabsicht durch die Inszenierung. Ich habe ehrlich gesagt schon länger darauf gewartet, dass Nathan der Weise abirelevant wird. Ich halte das Drama für sehr geeignet, da es einen klaren Bezug zur zu behandelnden Epoche der Aufklärung hat, relativ leicht verständlich ist und durch den Religionskonflikt und den Appell für mehr Toleranz auf aktuelle Themen bezogen werden kann. (…).“
und Frau Niemeyer ließ uns wissen:
„Meine Erwartungen: Viel O-Ton Lessing in einer modernen Inszenierung (schlichtes Bühnenbild mit Requisiten voller Symbolkraft, alte Helden in modernen Kostümen) – wie es so ist, wenn heutzutage „Klassiker“ aufgeführt werden… Insgesamt finde ich die Inszenierung gelungen, besonders gut: die Steine, die -wie ich von Kollegen hörte- die 7 Söhne symbolisieren sollten, die Nathan verloren hat – und nun als schrecklichen Verlust mit sich rumschleppt. Sittah als „Personal-Trainer“ ihres Bruders finde ich passend, tolle Idee. Davon abgesehen: Die Darstellung der Frauenfiguren finde ich nicht so gelungen – insgesamt ein bisschen nervig, besonders Daja (Foto rechts).
Die schauspielerische Leistung der Einzelnen fand ich sehr überzeugend. Die Patriarchen-Szene ist großartig, da war ich hin und weg… die (optische) Gleichsetzung von Moslems mit IS-Terroristen im Trainingscamp finde ich gewöhnungsbedürftig und diskussionswürdig, muss aber zugeben, dass die Bilder eindrucksvoll sind, besonders wenn die Maschinengewehre aus den Kisten geholt werden … (…) Ich möchte gern erwähnen, dass dieser Theaterbesuch für uns alle möglich geworden ist, weil Frau Beekmann nicht nur die Idee hatte, sondern sie auch realisiert hat. War bestimmt ganz schön viel Arbeit für sie – so ganz „nebenbei“ und im Grunde „ehrenamtlich“. Und es war alles perfekt organisiert. Dafür würde ich gern „Danke“ sagen“.
Unserer Meinung nach war das Stück anfangs nicht so spannend, das wurde jedoch nach der Pause deutlich besser. Das Inszenierung hat uns insgesamt nicht überzeugend, da das Drama viel harmonischer dargestellt wurde und nicht so wütend/gewaltbereit war wie die Aufführung. Allerdings verhalfen die Musik und das Licht dazu, nicht einzuschlafen und sorgten für viel Abwechslung. Folglich war die Aufführung eine interessante Erfahrung, die sicher auch für das Abitur nicht schaden kann.
Text : Saskia Saathoff, Beate Grojsman und Lisa Weinstock, Bilder: Dana Wittenberg